Die grosse Kammer orientierte sich bei ihren Beschlüssen weitestgehend an den Beschlüssen des Ständerates vom Dezember. Im Ständerat hatten sich die Linke und im Nationalrat mit der Linken auch die GLP unzufrieden geäussert mit der Vorlage. Ihre Wünsche für mehr Verbindlichkeit für Ökologie und Klima kamen aber nicht durch.

Umsetzung in Etappen
Vor fast zwei Jahren legte das Parlament die Agrarpolitik ab 2022 (AP22+) auf Eis und verlangte eine Langzeitperspektive für die Landwirtschaft. Diese sollte auch Themen wie Ernährungssicherheit und Food Waste beinhalten. Der Bundesrat legte diesen Bericht im Sommer 2022 vor und erntete nun im Parlament Zustimmung.

Die Regierung skizziert in dem Bericht den Weg der Land- und Ernährungswirtschaft bis 2050. Einbezogen hat sie die gesamte Wertschöpfungskette, vom Bauernbetrieb über Zwischenhandel und Verarbeitung bis auf den Teller. Die Landwirtschaft soll nachhaltig sein und mehr zur Ernährungssicherheit beitragen können als heute.

Gestützt auf den Bericht staffelte das Parlament die Umsetzung der Agrarpolitik. Der Nationalrat stimmte am Donnerstag den Änderungen im Landwirtschaftsgesetz mit 129 zu 1 Stimme und 65 Enthaltungen von SP, Grünen und GLP zu. Anpassungen im Tierseuchengesetz passierten mit 152 zu 0 Stimmen und bei 43 Enthaltungen.

Sozialversicherungsschutz und Ernteversicherung
Diese Beschlüsse bilden die zweite Etappe der Umsetzung der AP22+. Der erste Schritt waren bereits beschlossene Massnahmen für weniger Risiken durch Pestizide, die derzeit umgesetzt werden und schärfere Auflagen bringen. Die dritte Etappe soll eine tiefer gehende Reform ab 2030 sein. Im Fokus soll dann das gesamte Ernährungssystem stehen.

Die Räte genehmigten wirtschaftliche und soziale Neuerungen für die Landwirtschaft. Beim Abschluss von Ernteversicherungen, die Risiken wie Trockenheit und Frost abdecken, soll der Bund höchstens 30 Prozent der Prämien beisteuern können.

Eine der Voraussetzungen für Direktzahlungen an Landwirte ist neu der persönliche Sozialversicherungsschutz für regelmässig im Betrieb mitarbeitende Personen. Das können zum Beispiel Ehegatten sein sowie Partnerinnen und Partner. Der Nationalrat sagte stillschweigend Ja.

Marktentlastung bleibt
Anträge für weitere ökologische Anliegen fanden praktisch kein Durchkommen. Ins Landwirtschaftsgesetz kommen weder ein Absenkpfad für Treibhausgase noch ein Ausbaupfad für mehr Tierwohl. -> Mehr dazu hier

Bei der Absatzförderung wollten SP, Grüne und GLP eine klima- und tierfreundliche Produktion berücksichtigen, kamen aber ebenfalls nicht durch. «Wir haben heute eine Marktstützung bei den Eiern von rund 1,7 Millionen Franken pro Jahr. Damit werden die saisonalen Schwankungen im Eierverbrauch geglättet. Das heisst, an Ostern zum Beispiel werden industriellen Verarbeitern im Rahmen von sogenannten Aufschlagaktionen pro verbrauchtem Ei 9 Rappen ausbezahlt. Zusätzlich werden mit einem Bundesbeitrag im Detailhandel die Eier verbilligt», sagte GLP-Präsident Jürg Grossen (BE). Der Berner wollte die Marktentlastung für Eier und Fleisch abschaffen.

Für die Beibehaltung der Marktentlastung sprach sich Kilian Baumann (Grüne/BE) im Namen der Grünen Fraktion aus. Die landwirtschaftliche Produktion werde in langen Zyklen geplant. Und es sei nicht immer möglich, auf Marktverschiebungen zu reagieren. «Die Corona-Krise und die weltweiten Auswirkungen des Krieges in der Ukraine haben uns vor Augen geführt, wie schnell sich die Lage an den Märkten ändern kann. Die Mehrheit unserer Fraktion ist deshalb der Ansicht, dass der Bund nötigenfalls den Markt entlasten können sollte, damit das wirtschaftliche Risiko nicht allein bei den landwirtschaftlichen Betrieben haften bleibt», sagte Biolandwirt Baumann. Bei der Abstimmung enthielt er sich aber und stimmte nicht für die Beibehaltung. Dies im Gegensatz zu seiner Parteikollegin Christine Badertscher (BE). Die Agronomin stimmte für die Beibehaltung der beiden Artikel im Landwirtschaftsgesetz.

Landwirtschaftsgesetz
Art. 50 Beiträge an Massnahmen zur Entlastung des Fleischmarktes
1 Der Bund kann Beiträge zur Finanzierung von zeitlich befristeten Marktentlastungsmassnahmen bei saisonalen oder anderen vorübergehenden Überschüssen im Fleischmarkt ausrichten.
2 Der Bund kann den Kantonen ab 2007 Beiträge für die Organisation, Durchführung, Überwachung und Infrastruktur von öffentlichen Märkten im Berggebiet ausrichten.

Art. 52 Beiträge zur Inlandeierproduktion
Der Bund kann Beiträge für die Finanzierung von Verwertungsmassnahmen zugunsten der inländischen Eierproduktion ausrichten.

Auch Landwirt Marcel Dettling (SZ/SVP) wies auf Unvorhergesehenes hin. «Bei der Covid-19-Pandemie wurden plötzlich die Restaurants geschlossen. Bei den Kälbern gehen 50 Prozent der Produktion in die Gastronomie, weshalb wir dort stark von Covid-19 betroffen waren – doch wir konnten rasch reagieren. Mit der Marktentlastung konnte Schlimmeres abgewendet werden», sagte Dettling.

Auch Leo Müller (Mitte/LU) konnte der Abschaffung nichts abgewinnen: «Wenn ich hier in diesem Saal zuhöre, habe ich das Gefühl, die Leute meinen, die landwirtschaftliche Produktion sei eine lineare Produktion, die genau geplant werden könne, wie in der Industrie. Es geht hier vielmehr vorwiegend um saisonale Ausgleichungen. Sie haben es vorhin gehört: Es gibt Saisons, in denen wir zu viel Fleisch haben, und dann ist es doch sinnvoll, dass dieses eingelagert und, wenn wir zu wenig haben, wieder ausgelagert und verkauft wird.»

Die Abschaffung der beiden Artikel wurde vom Nationalrat schliesslich massiv abgelehnt.

Kein Geld für Horntiere
Anträge, die Absatzförderung auf pflanzliche Produkte zu beschränken respektive abzuschaffen, scheiterten ebenso. Unter dem Punkt Produktionssicherheitsbeiträge lehnte der Nationalrat Minderheitsanträge für besonders klimafreundliche Betriebe sowie Gelder für die gezielte Förderung der Tiergesundheit ab. Auch über einen «Hörnerfranken» hatte er wegen eines Minderheitsantrages erneut zu befinden, und er sagte wiederum Nein.

SP, GP und GLP wollten die höheren Kosten für die Haltung behornter Tiere berücksichtigen. Martin Haab (SVP/ZH) wandte ein, dass diese Gelder anderswo wegfallen könnten. Und in wenigen Jahren seien viele Tiere genetisch hornlos. Beat Walti (FDP/ZH) sprach von Zwängerei.

Denn das Begehren nach einem «Hörnerfranken» wurde schon mehrfach abgelehnt. 2022 beerdigte der Nationalrat eine entsprechende Motion, und 2018 verwarfen Volk und Stände die Hornkuh-Initiative.

Regelung der Verbandsbeschwerde
Geeinigt haben sich die Räte auf die vom Bundesrat beantragte Regelung der Verbandsbeschwerde bei der Zulassung von Pflanzenschutzmitteln. Die Einigung kam zustande, weil sich im Nationalrat eine Minderheit um Kathrin Bertschy (GLP/BE) mit 100 zu 92 Stimmen bei 4 Enthaltungen durchsetzte.

Die Mehrheit der Wirtschaftskommission hätte die Mitspracherechte für Umweltorganisationen einschränken wollen, um die Verfahren abzukürzen. Verbände hätten nur bei erstmaligen Bewilligungen und bei gezielten Überprüfungen mitreden können.

Ergänzend zum Ständerat fügte der Nationalrat eine Bestimmung für den Einsatz von Organismen gegen Schädlinge ins Gesetz ein. Über diese Differenz hat nun der Ständerat zu entscheiden.